Preisträger der 25. Ausschreibung des Südwestmetall-Förderpreises

Verleihung des Südwestmetall-Förderpreises 2016

Am 13.04.2016 erhielt Dr.-Ing. Gerhard Kurz von der Fakultät für Informatik die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung für seine Dissertation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zum Thema „Directional Estimation for Robotic Beating Heart Surgery“. Seit Februar 2012 ist Kurz wissenschaftlicher Mitarbeiter am KIT. Hier arbeitet er am Institut für Anthropomatik und Robotik, das beim Lehrstuhl für Intelligente Sensor‐Aktor‐Systeme (ISAS) angesiedelt ist. Seine Forschungsgebiete sind roboterassistierte Chirurgie, Richtungsstatistik und Schätztheorie. Die Arbeit wurde von Prof. Hartenstein, dem Dekan der Fakultät für Informatik, entgegen genommen.

Mit dem Förderpreis würdigt Südwestmetall herausragende Leistungen des wissenschaftlichen Nachwuchses an den neun baden‐württembergischen Landesuniversitäten. An jeder Universität wird ein mit 5.000 Euro dotierter Südwestmetall‐Förderpreis ausgelobt. Die Preise werden jährlich auf Vorschlag der Universitäten für wissenschaftliche Arbeiten vergeben, die für die industrielle Arbeitswelt oder deren sozialpolitische Rahmenbedingungen von Bedeutung sind.

 

Kurzfassung der Dissertation: Directional Estimation for Robotic Beating Heart Surgery

 

Für Chirurgen ist es schwierig, am schlagenden Herzen zu operieren, weil sich die Herzoberfläche schnell bewegt. Deshalb werden Herzoperationen üblicherweise am stillstehenden Herzen durchgeführt, wobei der Patient von einer Herz-Lungen-Maschine am Leben gehalten wird. Allerdings bringen das Anhalten des Herzens und der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine zusätzliche medizinische Risiken für den Patienten mit sich. Ein Ansatz, um diese Probleme zu beheben, ist der Einsatz eines Roboters für die Chirurgie am schlagenden Herzen. In diesem Fall wird die Herzbewegung von Sensoren erfasst und ein ferngesteuerter Roboter verwendet, um die Operation durchzuführen, wobei er die Herzbewegung automatisch ausgleicht. Dem Chirurgen, der den Roboter fernsteuert, wird im Gegenzug eine stabilisierte Ansicht auf das schlagende Herz angezeigt. Auf diese Weise wird die Illusion einer Operation am stillstehenden Herzen geschaffen, obwohl das Herz in Wirklichkeit die gesamte Zeit über schlägt.

Um dieses Konzept in einer klinischen Umgebung umzusetzen, ist es erforderlich, eine Reihe von Teilproblemen zu lösen. Dazu gehören unter anderem Fragestellungen der medizinischen Bildverarbeitung, der Robotik, der Regelung, der Schätzung, des Tracking und der Signalverarbeitung. Diese Dissertation konzentriert sich auf drei grundlegende Bausteine eines Systems für die roboterassistierte Chirurgie am schlagenden Herzen. Der erste Baustein befasst sich mit der Verwendung von Kreis- und Richtungsstatistik, einem Teilbereich der Statistik, welcher sich mit periodischen Phänomenen beschäftigt. Dabei kommen Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf nichtlinearen Mannigfaltigkeiten zum Einsatz, anstatt lineare Approximationen zu verwenden. Basierend auf diesen statistischen Grundlagen kann beispielsweise die Phase des Herzschlags geschätzt werden. Phaseninformation ist von großem Interesse für die roboterassistierte Chirurgie am schlagenden Herzen, und Methoden, die auf Richtungsstatistik basieren, erlauben eine genauere Schätzung als traditionelle lineare Methoden. Der zweite Baustein befasst sich mit der Rekonstruktion einer Oberfläche, die sich bewegt und verformt, wie etwa die Herzoberfläche. Dabei werden Messungen von Sensoren unterschiedlichen Typs kombiniert. Der dritte Baustein befasst sich mit der Frage, wie eine stabilisierte Ansicht des schlagenden Herzens erzeugt werden kann, um sie dann dem Chirurgen anzuzeigen.

Richtungsstatistik ist ein Teilgebiet der Statistik, welches sich mit Richtunsgrößen befasst, die auf nichtlinearen Mannigfaltigkeiten definiert sind. Dazu gehören beispielsweise Winkel, Orientierungen oder Phaseninformation. Da diese Größen periodisch sein können, müssen Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf den zugrunde liegenden Mannigfaltigkeiten besonders sorgsam definiert werden. In dieser Arbeit werden sowohl zirkuläre Größen als auch Verallgemeinerungen auf höhere Dimensionen wie Größen auf dem Torus oder der Hyperkugel betrachtet. Dazu werden zunächst die statistischen Grundlagen eingeführt und anschließend Schätzverfahren hergeleitet, um bayessche Filterung auf diesen Mannigfaltigkeiten durchzuführen. Danach wird die Anwendung der entwickelten Methoden auf das Problem der Herzphasenschätzung untersucht.

Um roboterassistierte Operationen am schlagenden Herz sicher durchführen zu können, sind genaue Informationen über die Herzoberfläche unerlässlich. Deshalb wird in dieser Arbeit ein Oberflächenrekonstruktionsalgorithmus vorgeschlagen, der dazu entwickelt wurde, eine Oberfläche, die sich bewegt und deformiert, zu rekonstruieren. Dies geschieht, indem Position und Form der Oberfläche mit einem rekursiven nichtlinearen Filter geschätzt werden. Um die Qualität der Schätzung der Oberfläche zu verbessern, werden Daten von verschiedenen Sensoren wie etwa Stereokamerasystemen oder Tiefensensoren kombiniert. Die Oberfläche selbst wird als dreidimensionales Spline dargestellt, welches im Gegensatz zu anderen üblichen Oberflächenmodellen mit wenigen Parametern beschrieben werden kann. Um die Qualität der Oberflächenrekonstruktion weiter zu erhöhen, wird zudem eine Methode vorgeschlagen, mit der adaptiv zusätzliche Kontrollpunkte eingefügt werden können.

Schließlich wird das Problem der Bildstabilisierung betrachtet. Um ein stabilisiertes Bild zu erzeugen, welches dem Chirurgen angezeigt werden kann, werden rein zweidimensionale sowie dreidimensionale Ansätze unterschieden. Während die zweidimensionalen Algorithmen nur 2D Informationen nutzen, um ein stabilisiertes zweidimensionales Bild zu erzeugen, nutzen die dreidimensionalen Algorithmen 3D Informationen, um eine stabilisierte dreidimensionale Oberfläche des schlagenden Herzens zu erzeugen. Da diese Ansätze auf Interpolationsagorithmen basieren, werden mehrere Techniken zur Interpolation, die sich in diesem Kontext anwenden lassen, eingeführt, diskutiert und verglichen. Außerdem wird eine gründliche Evaluation durchgeführt, die sowohl ex-vivo als auch in-vivo Daten verwendet. Anhand dieser werden die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden diskutiert.

Obwohl die Forschung an diesen Bausteinen durch roboterassistierte Chirurgie am schlagenden Herzen motiviert ist, lassen sie sich nicht nur auf dieses, sondern auch auf viele andere Probleme anwenden. Viele Anwendungen, sowohl medizinische als auch andere, können von den Methoden, die in dieser Dissertation entwickelt wurden, profitieren.