Interview mit dem Alumnus Jean Koster

Jean Koster

„Als Raketenenthusiast muss man auch Maschinenbau können“
Alumnus Jean Koster begeistert Studierende für Raumfahrttechnik

Jean Koster, geboren und aufgewachsen in Luxemburg, studierte in Karlsruhe Maschinenbau, arbeitete in Utah an der Fakultät für Physik und in Karlsruhe am ehemaligen Kernforschungszentrum. Heute lebt er in Colorado in den USA und lehrt an der dortigen Universität am Institut für Raumfahrttechnik. Im Gespräch mit AlumniKaTH berichtet er, wie ihn sein Jugendtraum, Astronom zu werden, beeinflusst hat. Das Interview führte Elke Schmidt.

Herr Koster, wie kam es dazu, dass Sie sich heute mit dem Thema Raumfahrttechnik beschäftigen? Worin liegt für Sie die Faszination dieses Bereichs?
Als 16-Jähriger habe ich mich intensiv mit Astronomie beschäftigt; ich wollte Astronom werden. Dann hatte mein Vater eines Tages ein 10 cm Newton Teleskop von einem Freund ausgeliehen. Für ein paar Wochen habe ich jede klare Nacht mit Beobachtungen verbracht, bis ich tagsüber in der Schule einschlief. Später hatte ich drei Schulfreunde, mit denen ich Raketensysteme auf dem Papier entwickelte. Wir haben gemeinsam Werke von Hermann Oberth, Wernher von Braun u.a. studiert. Mein Maschinenbau-Studium in Karlsruhe wählte ich wegen eines Nachbarjungens, der schon im letzten Semester war. Ich kam von Astronomie ab, da ich keine Berufschancen sah; und als Raketenenthusiast muss man auch Maschinenbau können. Aus der Rakete wurde nichts und ich habe mich bei einem sehr guten Doktorvater, Professor Müller, in Fluidmechanik vertieft. Der weltweit sehr gute Ruf von Prof. Müller hat interessante Besucher an sein Institut gebracht. Einer der Besucher hat mich dann zu sich in die USA eingeladen. Hier habe ich erste Kontakte zur NASA geknüpft- ein Traum für mich! Zurück in Deutschland erhielt ich eines nachts um 1:00 Uhr einen Anruf von einem Wissenschaftler der NASA (er hatte vergessen, dass es einen Zeitunterschied mit Europa gibt), der mir anbot, dort zu arbeiten. Nun konnte ich der NASA nicht absagen, das war ein Jungendtraum! Als Ausländer musste ich über eine Universität eingeschleusst werden, das war 1984 die University of Colorado. Zu der Zeit war die Kommerzialisierung des Weltraums das große Thema, wissenschaftlich aber war es die Mikrogravitationsforschung. Die Universität von Colorado startete zu diesem Zeitpunk eine „Space Initiative“, und nach einem Jahr bei der NASA wurde ich dann eingeladen in Colorado weiter zu arbeiten. 1987 hat dann das Aerospace Department eine Professorenstelle erhalten, die ich bekommen habe und wo ich bis heute bin.

Mit welchen Fragen beschäftigen Sie sich dort?
Auch meine Lehre hat sich dynamisch entwickelt. In den USA ist es so, dass die Akkreditierung verlangt, dass jedes Department ein bestimmtes Lehrangebot unterhält. Somit muss jeder auch mal Randgebiete lehren, wir sind ein Team. Mir wurde nahegelegt die Vorlesung „Gundlagen zu den Materialwissenschaften“ zu halten. Das Feld habe ich dann ausgebaut, da mich das Gebiet auch sehr interessierte. Mein Spezialgebiet war ja im Bereich der Materialverfestigung (Flüssig-fest Übergang). Ein weiteres Standbein wurde dann „System Engineering“, die Grundlage von komplexen Raumfahrtsystemen. Diese Lehre ist die interessanteste, die ich je gemacht habe! In meiner Forschung bin ich heute auf der Suche nach Neuentdeckungen, da kaum mehr Gelder für ein- fache Kontinuum Fluidmechanik und auch nicht für Materialverfestigung (außer Nano) zu erhalten sind. Deshalb vertiefe ich mich jetzt in Energiesysteme. Hier war die Raumfahrttechnologie immer ein Vorreiter - schließlich gibt es kein Benzin im Weltall! Meine Studienarbeit in Karlsruhe am Institut für Thermische Strömungsmaschinen hat sich mit Solartechnik beschäftigt und seit einem halben Jahr arbeite ich mit einer kleinen Studentengruppe an solar gespeisten Elektrofahrzeugen. Für effiziente Elektroautos ist die Raumfahrttechnik von grösster Bedeutung.

Welche Entwicklungen wird es im Bereich Raumfahrttechnik bis zum Ende dieses Jahrhunderts voraussichtlich geben?
Die Raumfahrtindustrie ist die einzige Industrie in den USA, die „cash positive“ für die USA ist, zum Teil durch die hevorragende Qualität der Flugzeuge, der Shuttle, Satelliten und Raketensysteme. Ich glaube, dass die Mondforschung wieder in ein Apolloprogramm ausartet, wenn die Chinesen, Japaner oder Inder erfolgreiche Mondlandungen vorzeigen. In China steigen Zahl und Qualität der Ingenieure rasant an und ich bin sicher, dass sie Großes erreichen werden. Sie werden diesen Bereich sogar dominieren, wenn die USA (und auch Europa) sich nicht um eine bessere Ausbildung kümmern. Die Politiker bieten keine echten Lösungen an, Kleinkram bindet Hände und absorbiert Energie! Wenn wir so weitermachen wie jetzt, dann gehört die Zukunft den asiatischen Ländern.

Obwohl Sie in Karlsruhe studiert und hier auch Ihren Doktortitel erworben haben, arbeiten Sie genau wie viele andere hochkarätige Wissenschaftler nun schon seit Jahren in den USA. Was hat Sie dazu bewogen, Deutschland den Rücken zu kehren?
Ich wurde in den Nachkriegsjahren in Luxemburg geboren. Damals wurden die USA angehimmelt, der grosse Retter, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die USA waren DIE Nation zu der man aufschaut (leider wurde all das in den letzten Jahren vermasselt). Dann kam die Mondlandung, einfach grossartig, ich war die ganze Nacht auf und habe die Landung auf dem Fernseher meines Onkels verfolgt. Ich wollte mitmachen. Und wo kann ich das? Natürlich am Besten in den USA. Damals, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, gab es in Europa nur kleinere Aktivitäten in diesem Bereich. Bereut habe ich es nie, in die USA gegangen zu sein. Nur fehlt mir die Familie und den Kindern haben die Grosseltern gefehlt. Ich bin an einer guten Universität und wir leben in einer paradiesisch schönen Gegend, warum sollte ich zurück!

Wie unterscheidet sich der wissenschaftliche Alltag in den USA von dem in Deutschland? In welchen Bereichen können die beiden Länder von einander lernen?
Wie für die meisten Akademiker ist mein Arbeitstag zu kurz. Wochenenden sind auch nicht immer nur für die Familie da, leider. Ich gebe meistens zwei Vorlesungen pro Semester, das entspricht etwa sechs bis zwölf Stunden Arbeit pro Woche. Ich treffe mich jede Woche für ein paar Stunden mit meinen Studenten, arbeite ab und zu selbst im Labor. Dann schreibe ich zahllose Forschungsanträge und muss auch noch in vielen Kommitees mitmachen. Unsere Arbeit muss sich zu jeweils 40% aus Lehre und Forschung und zu 20% aus Service zusammensetzen. Aber niemand sagt, dass das auf 40 Stunden pro Woche begrenzt sein muss! Im Vergleich zu meinen deutschen Kollegen verbringe ich viel zu viel Zeit mit Anträgen schreiben. Ich habe keine jährliche Grundfinanzierung und muss alles abrechnen (Telefon, Büromaterial etc.). Dies ist das Einzige, was mir lästig wurde. In meinem Studium habe ich nie einen so nahen Kontakt und Diskussionen mit meinen Professoren gehabt, wie ich ihn jetzt mit meinen Studenten habe. In den USA diskutiert man oft mit den Studenten. Die Intensität der Fragestellungen während den Vorlesungen kann ich mir in deutschen Hörsälen nicht vorstellen. Als ich meine ersten Vorlesungen hielt war das richtig stressig: die frechen Amerikaner fragen so viel und glauben einem nichts, bis man sie überzeugt hat. Mit den graduate Studenten (Masters/PhD) ist man fast befreundet, auch wenn die Kritik manchmal sehr hart werden kann und der Student das Examen verpatzt. Man ist eben „professionell“ wie in der Industrie. Deutschland hat immer noch die ideale Finanzierung der Hochschulen. Jedoch sollten die Professoren mehr auf Studenten zugehen. Für die USA würde ich mir die deutsche goldene Grundfinanzierung wünschen.

Sie studierten in Deutschland, sind aber in Luxemburg aufgewachsen und leben heute in den USA. Fühlen Sie sich als Weltbürger? Inwiefern hat das Leben in so unterschiedlichen Ländern Sie bereichert?
Sicher fühle ich mich mehr als Weltbürger. Ich hätte nie das erreicht, was ich jetzt erreicht habe, wäre ich in Deutschland geblieben. Ich habe Freundschaften mit Leuten aus aller Welt geschlossen. Es ist zwar nicht alles Gold was glänzt, aber trotzdem möchte ich das nicht missen. Ich merke das oft, wenn ich mit Studienkollegen und Wissenschaftlern rede die nie aus ihrem Nest weg gekommen sind. Natürlich reisen auch viele deutsche Wissenschaftler, aber nur kurzfristig, das ist nur wie Urlaub. Ich habe hier auch viele deutsche Studenten unterrichtet. Diese Studenten haben sehr viel mehr gelernt als ihre Kommilitonen, die sich nicht bewegten. Andere Menschen und Kulturen kennenzulernen ist sehr wichtig, dann ließe sich so mancher Krieg verhindern.

Die Wahl Barack Obamas hat in den USA viele Hoffnungen geweckt. Können Sie feststellen, dass sich schon allein durch die Wahlentscheidung etwas verändert hat? Was würden Sie sich vom 44. Präsidenten der USA wünschen?
Für mich ist es keine Frage der Hoffnung. Ich möchte sagen, dass 90% der denkenden Amerikaner erwarten, dass wenigstens bald wieder Vernunft ins Weisse Haus einzieht. Alle Wissenschaftler sind größter Zuversicht, dass Obama die richtigen Entscheidungen für Forschung und Lehre und auch für das Volk treffen wird. Die Geschichte wird feststellen, wie schlecht die jetzige Regierung wirklich war. Obama ist für mich (und für viele) ein neuer John F. Kennedy. In wissenschaftlichen Kreisen herrscht zu 90% große Erleichterung! Ich wünsche dem nächsten Präsidenten alle Kraft sein Programm für die Menschen durchzusetzen und hoffe, dass seine Lebensgeschichte der des JFK nicht allzu sehr ähneln wird.

Was sehen Sie, wenn Sie aus dem Fenster Ihres Büros oder ihres Hauses in Colorado schauen?
Meine Frau und ich haben ein schönes Einfamilienhaus, wo wir unsere beiden Kinder großgezogen haben. Ein schöner Garten umgibt das Haus und wir beide lieben ein bißchen Gartenarbeit. Unser Balkon zum hinteren Garten erlaubt uns einen Blick über die Nachbarhäuser in die Ferne. Im Sommer sind wir von Blätterbäumen abgeschottet. Wir genießen statistisch etwa 300 Sonnentage pro Jahr, und wenn im Winter mal ein Meter Schnee liegt und die Sonne scheint, machen wir unsere täglichen Wanderungen durch die sehr ruhige Nachbarschaft. Ich fahre mit dem Bus zur Arbeit und fahre eine der schönsten Strassen der Welt von Louisville nach Boulder, wo jeden Tag ein anderes Bild der Rocky Mountains geboten wird. Mein Büro ist nicht so toll, zum Arbeiten konzipiert. Mein Fenster schaut auf einen Innenhof. Deshalb nehme ich mir, wenn möglich, jeden Tag 30 bis 40 Minuten um über den wunderschönen Campus der Uni zu laufen und zu entspannen.